
Die Beziehung schien am Ende. Nichts ging mehr zwischen Juan Román Riquelme und den Boca Juniors. Er fühle sich leer und ausgebrannt. In knapp 400 Partien hatte er die Farben des Klubs seines Herzens verteidigt. Nun sei das Feuer erloschen, sagte Riquelme im vergangenen Jahr nach dem verlorenen Finale der Copa Libertadores gegen den brasilianischen Klub Corinthians. Die Boca-Fans weinten.
Nun ist Riquelme plötzlich wieder da. Vorausgegangen war eine siebenmonatige Posse, auf die jeder Drehbuchautor einer südamerikanischen Telenovela stolz gewesen wäre. Leidenschaft, Eitelkeiten und Intrigen. Eine argentinische Seifenoper in mehreren Akten.
Die Trennung
„Ich fühle mich leer und kann dem Klub nichts mehr geben.“ Juan Román Riquelme
São Paulo, 4. Juli 2012. Aus der Traum. Zu gerne hätte Riquelme seine Karriere mit dem elften Titel im Dress der Boca Juniors gekrönt. Noch einmal die Copa Libertadores gewinnen. Vielleicht hätte er dann an gleicher Stelle sogar seinen sofortigen Rückzug vom Profifußball verkündet. Doch dann kommt alles ganz anders. Seine Kollegen stehen noch unter der Dusche, als Riquelme in den Katakomben der Corinthians-Arena versucht, die 0:2 Niederlage im Rückspiel in Worte zu fassen. Die Spielanalyse gerät allerdings schnell zur Nebensache. Mit brüchiger Stimme verkündet Riquelme plötzlich seinen Abschied von Boca: „Ich werde nicht weitermachen. Ich fühle mich leer und kann dem Klub nichts mehr geben.“ Adios, der Kapitän geht von Bord.
Nie wieder Boca. Die Fans sind geschockt. Ihr großes Idol dankt ab. Voller Zuneigung ruft er ihnen im Gehen noch zu: „Ich liebe die Boca-Anhänger“. Das Herz geht auf. Und verkrampft sich zugleich wieder beim Gedanken, den genialen Spielmacher künftig im Trikot eines anderen Klubs zaubern zu sehen. Denn die Lust am Fußball an sich hat Riquelme nicht verloren. Nur bei Boca ist ihm unter der Ägide des stets grimmig dreinblickenden Trainers Julio César Falcioni der Spaß zusehends abhanden gekommen. Was Riquelme nie ausspricht, macht Boca-Präsident Daniel Angelici schließlich öffentlich: „In den zwischenmenschlichen Beziehungen gab es Probleme.“ Also doch. Vielleicht missfällt Riquelme aber auch, dass die Klubführung eher auf der Seite des humorlosen Taktikers Falcioni steht, statt ihm, dem begnadeten Lustfußballer, den Rücken zu stärken. Riquelme, ein gekränkter Narziss, der schmollend das Weite sucht?
Sei’s drum. Die wahren Gründe für seinen Rückzug wird er irgendwann vielleicht in seiner Biographie offenbaren. Seine sportliche Zukunft legt er derweil in die Hände seines Sohnes Augustín: „Wenn er mich darum bittet, spiele ich noch eine Weile weiter. Aber nicht bei Boca.“
Die Entfremdung
„Wenn ich 80 Jahre alt bin, dann stehe ich Boca wieder zur Verfügung. Aber ich habe nie gesagt, dass ich nochmal in kurzen Hosen zurückkehren werde.“ Juan Román Riquelme
Nach seinem Abschied zieht Riquelme sich ins Private zurück. Der bis Mitte 2014 laufende Kontrakt wird auf Eis gelegt. In seinem Domizil in Don Torcuato am Rande der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires genießt der Boca-Spielmacher a.D. Mate-Runden mit Freunden und Grillabende im Kreise der Familie. Gelassen wartet er auf Angebote. Die Anfragen lassen auch nicht lange auf sich warten. Kaum ein Tag vergeht, in dem nicht über den künftigen Arbeitsgeber von Riquelme spekuliert wird. Die meisten Spuren führen nach Brasilien. Cruzeiro und Palmeiras sind heiß auf den Argentinier. Ein Wechsel scheitert aber. Riquelme bleibt in Lauerstellung, hält sich in Eigenregie fit. Interessenten in Argentinien schreckt derweil die Abfindung ab, die Boca für die Freigabe an einen Ligakonkurrenten aufruft: 2,1 Millionen US-Dollar.
Die Wochen verstreichen. Während Riquelme den Privatmann gibt, stümpert Boca ohne seinen Taktgeber im Mittelfeld bieder durch die Saison. Vielleicht bereut der Star seine Entscheidung schon ein bisschen, als er Mitte November überraschend sagt: „Wenn Boca mich will, stehe ich zur Verfügung. Im Dezember schauen wir weiter.“ Die Tür für eine Rückkehr scheint sich überraschend einen Spalt zu öffnen. Etwa mangels Alternativen? Oder spekuliert Riquelme gar auf eine baldige Entlassung des ungeliebten Falcioni? Immer wieder kursiert der Name des legendären Boca-Trainers und Riquelme-Intimus Carlos Bianchi rund um die Bombonera.
Tatsächlich muss Falcioni Mitte Dezember seine Koffer packen. Der Vertrag wird nicht verlängert. Trotz eines 2:1 gegen Godoy Cruz wird Falcioni gnadenlos vom eigenen Publikum ausgepfiffen. Boca-Boss Angelici gibt anschließend dem Fan-Votum statt: „Die Bombonera hat gesprochen.“
Kommt Riquelme nun zurück? Nein. Bereits wenige Tage zuvor hatte dieser sich selbst widersprochen und erklärt: „Wenn ich 80 Jahre alt bin, dann stehe ich Boca wieder zur Verfügung. Aber ich habe nie gesagt, dass ich nochmal in kurzen Hosen zurückkehren werde.“ Einmal so richtig in Fahrt, legt Riquelme nach: „Auch wenn Bianchi zurückkehrt, komme ich nicht zurück. Ich glaube ohnehin nicht, dass das eintreten wird.“ Er soll sich täuschen.
Der Superstar in der Zwickmühle
„Ich kann mein Wort nicht brechen. Zu Boca kehre ich nicht zurück.“ Juan Ramón Riquelme
Kaum ist der Bianchi-Deal perfekt, fordert dieser von der Klubführung: Holt mir Riquelme! Ende 2012 kommt es zu einem Treffen im Haus von Bianchi. Riquelme erklärt hinterher trocken: „Ich bin nur zum Mate-Trinken dagewesen.“ Doch er liebäugelt mit der Aussicht, unter seinem großen Mentor und väterlichen Freund zu spielen. Gemeinsam hatten sie unter anderem zweimal die Copa Libertadores gewonnen.
Kurz nach dem Jahreswechsel soll der Coup besiegelt werden. Doch dann das: Es gibt Unstimmigkeiten bei Vertragslaufzeit und Gehalt. Am Tag, als Bianchi offiziell seine dritte Amtszeit als Boca-Trainer antritt, macht Riquelme einen Rückzieher: „Ich kann mein Wort nicht brechen. Zu Boca kehre ich nicht zurück.“ Eine Aussage, die er aber im nächsten Satz wieder mit einem Fragzeichen versieht. Man weiß ja nie. „Ich habe Carlos gesagt, dass es sehr schwer sein wird, mich umzustimmen“, so Riquelme. Argentiniens Ex-Nationalspieler in der Zwickmühle. Ein Gefangener seiner eigenen Worte.
Die Vorbereitung beginnt ohne Riquelme. Schnell zeichnet sich ab, dass Bianchi mit dem vorhandenen Personal den Abgang von Riquelme nicht kompensieren kann. Die Fans werden unruhig. Boca verliert das erste Testspiel gegen den Erzrivalen River Plate. Riquelme ätzt: „Boca hat keinen herausragenden Spieler in seinen Reihen.“ Äußerungen, die bei seinen Ex-Teamkollegen nicht gut angekommen sein dürften. Besonders bei Augustín Orion, in dessen Richtung Riquelme abschätzig nachlegt: „Heute kann jeder Kapitän von Boca sein.“
Die Rückkehr
„Carlos, ich sehe dich leiden. Wenn es so sein muss, dann lass uns zusammen leiden.“ Juan Román Riquelme
Boca verliert zum zweiten Mal einen Test gegen River Plate. Riquelme sieht die Partie daheim am Fernseher. Er ist stinksauer. Der Fan in ihm tobt. Auch Stunden danach ist sein Ärger nicht verraucht. Er greift zum Telefon, wählt die Nummer von Bianchi und bietet seinem Freund Hilfe an: „Carlos, ich sehe dich leiden. Wenn es so sein muss, dann lass uns zusammen leiden.“ Rolle rückwärts, alles zurück auf Anfang.
Die Sache gerät ins Rollen. Ein mit Ligarivale Tigre anberaumtes Treffen wird kurzfristig abgesagt. Boca hat Priorität. Riquelme-Berater Daniel Bolotnicoff über die Motive seines Klienten: „Die Partie hat Roman sehr mitgenommen. Für Gefühle gibt es manchmal keine Erklärungen. Fußball bedeutet Leidenschaft.“
Der Boca-Klubführung bleibt nichts anderes übrig, als dem Wunsch von Trainer und Fans zu entsprechen. Riquelme scheint das zu ahnen. Der Moment ist günstig. Jetzt oder nie. Obwohl es durchaus Widerstand gegen die Rückholaktion des launischen Idols gibt, beugen sich die Vereinsoberen dem Druck. „Wenn wir gegen die Rückkehr gestimmt hätten, dann hätten wir harte Kritik einstecken müssen“, sagt Angelici. Die Bombonera hat ein zweites Mal gesprochen.
Bianchi hingegen dürften der Zeitpunkt der Rückkehr seines verlängerten Arms auf dem Platz sowie dessen Äußerungen kaum gefallen haben. Decken sie doch die Schwächen seines Kaders auf. Folgerichtig betont er: „Kein einzelner Spieler rettet eine ganze Mannschaft. Wenn Roman körperlich gut drauf ist, kann er uns noch sehr viel geben. Es wäre aber sicherlich besser gewesen, wenn er die Vorbereitung mit absolviert hätte.“
Schluss mit Polemik
„Ich bin nicht so böse, wie viele sagen.“ Juan Román Riquelme
11. Februar 2013. Das Hin und Her der vergangenen Monate ist vorbei. Früh morgens um 7.25 Uhr fährt Riquelme mit seinem Auto auf das Klubgelände. Mit Mate-Becher in der Hand steigt er aus und verschwindet in der Umkleidekabine. Artig entschuldigt sich Riquelme bei seinen Kollegen für seine Verbalattacken, „falls diese bei dem einen oder anderen übel aufgestoßen sind“. Das sei nicht seine Absicht gewesen. „Ich habe als Fan gesprochen“, so Riquelme. Und überhaupt: „Ich bin nicht so böse, wie viele sagen.“ Alle lachen. Schluss mit Polemik.
Die Mannschaftskameraden empfangen Riquelme nach außen höflich. Pablo Ledesma: „Er möchte in einem Moment zurückkommen, in dem wir ihn brauchen. Das zeigt, wie sehr er Boca liebt. Wir, die noch hier sind, hatten nie Probleme mit ihm. Er ist ein Anführer.“ Doch auch wenn keiner offen gegen Riquelme stänkert. Die Frage bleibt: Kann ein Veteran im Alter von 34 Jahren und mit sieben Monaten ohne Spielpraxis innerhalb kürzester Zeit wieder seine dominanten Rolle in der Umkleidekabine und auf dem Rasen einnehmen? Noch dazu mit dieser Vorgeschichte im Gepäck? Auf die Antwort müssen alle bis Anfang März warten. Bis dahin schuftet Riquelme in Einzelschichten, um sich für sein Comeback fit zu machen. Die verpasste Vorbereitung sieht er gar als gutes Omen. „Ich habe die Hoffnung, dass sich die Geschichte von 2007 wiederholt“, sagt er. Damals kam er für ein halbes Jahr auf Leihbasis vom FC Villareal zu Boca. Trotz Kaltstart spielte Riquelme eine brillante Saison und führte die Blau-Gelben zum Triumph in der Copa Libertadores.
Bocas Vizepräsident Juan Carlos Crespi räumt Riquelme einen Sonderstatus ein: „Die Besten muss man eben wie die Besten behandeln.“ Dennoch: „Ich bin überzeugt, dass er nie hätte gehen sollen.“ Der argentinische Fußball wäre dann aber auch um eine Seifenoper ärmer.
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