
Es ist nicht die feinste Gegend in der brasilianischen Hafenstadt Santos. Weit weg von den noblen Appartements in Strandnähe, die sich nur vermögende Leute aus São Paulo leisten können. Hier, in der Nähe des legendären Santos-Stadions Vila Belmiro am Canal 2 sind die die kleinen Mehrfamilienhäuser grau und der Putz bröckelt von den Wänden. Straßenhunde bellen ihr Lied, am Horizont ziehen sich die Favelas die Serra do Mar hoch. Über das Küstengebirge hinweg liegt eineinhalb Autostunden entfernt die Mega-City São Paulo mit geschätzt 20 Millionen Einwohnern. Genau weiß das aber niemand. Der kleine Mann auf dem Plastikstuhl nahe der Vila Belmiro hat mit dem Stress des Molochs nichts zu tun. João Araújo, alle nennen ihn nur Senhor Didi, hält gerade ein Nickerchen. Das passt gut, schließlich sind seine Kunden gerade beim Mittagessen. Der 74-Jährige ist der wohl bekannteste Friseur Brasiliens. Seit 1956 schneidet er einem der prominentesten Sportler der Welt die Haare: Edson Arantes do Nascimento: Pelé. O rei. Der König.
„Friseur von Pelé und von Euch auch. Didi“
Gleichmäßiges Grau liegt an diesem Dienstag über Santos. Eine Wetterlage, typisch für die Stadt mit dem größten Hafen Südamerikas – nur schwer können die Wolken über das Küstengebirge abziehen. „Heute ist es recht ruhig. Als wenn die Leute gar nicht aus dem Haus wollen. Normalerweise habe ich sechs Kunden am Tag“, sagt Didi, schiebt den Plastikstuhl bei Seite und betritt sein weiß gekacheltes Geschäft. „Friseur von Pelé und von Euch auch. Didi“ steht auf dem großen Ladenschild. Santos-Wimpel, Zeitungsausschnitte, Pelé-Fotos, Aufkleber – Didi‘s Laden könnte leicht mit dem Museum des ruhmreichen Santos FC verwechselt werden. Doch das ist ein paar Meter weiter.
1956 war für João Araújo ein Glücksjahr. Als 17-Jähriger kam er aus Minas Gerais, einem Bundesstaat im Südosten Brasiliens reich an Bodenschätzen, nach Santos und heuerte in einem Friseurgeschäft nahe des Stadions an. „Pelé kam im selben Jahr nach Santos und unterschrieb nach einem Probetraining mit 15 seinen ersten Vertrag“, erinnert sich Didi. Eines Tages stand er plötzlich im Salon. „Er war zunächst nicht sonderlich begeistert, weil ich ja noch ganz neu war und er nicht einschätzen konnte, ob ich mein Handwerk verstehe. Ich sagte: Versuchen wir es. Und wenn es Ihnen gefällt, dann habe ich einen neuen Kunden und Freund“, sagt Didi. Seitdem lässt Pelé nur noch ihn an seine Haare und verlangt immer den gleichen Schnitt. Auch ehemalige Santos-Granden wie Durval, Coutinho, Pepe oder Zito lassen sich noch regelmäßig bei Didi zum Haareschneiden blicken.
„Pelé zahlt natürlich etwas mehr“
Der zweite Kunde des Tages betritt das Friseurgeschäft, das sich direkt neben der Santos-Fankneipe „Zum Deutschen“ befindet. „Bom dia Didi. Tudo bem?“ „Tudo!“ Schon sitzt der Mann mit dem Bart und den lockigen Haaren auf dem Friseurstuhl, den sich Didi angeschafft hat, als er 1970 das kleine Geschäft übernahm. Wenn dieser Stuhl reden könnte. Didi nimmt die Sprayflasche und feuchtet die Haare des Kunden an. Stück für Stück kürzt er die Locken, knappe zehn Euro muss man dafür auf den Tisch legen. „Pelé zahlt natürlich etwas mehr“, sagt Didi über seinen vermögenden Kunden. Pelé, das sei mittlerweile ein riesiges Unternehmen, das aus New York gesteuert werde.
„Vor gut einer Woche habe ich ihm zuletzt die Haare geschnitten. Aber nicht hier, sondern bei ihm zu Hause“, berichtet Didi. Immer häufiger schneidet der Cabeleireiro dem Weltfußballer auswärts die Haare, „wenn wir das hier machen, spricht sich das herum wie ein Lauffeuer und das ganze Viertel steht vor meiner Tür und will Fotos und Autogramme“, sagt Didi. Eigentlich könne man dann fast Eintritt nehmen, witzelt er.
Also schließt Didi seinen Laden zu, wird von Pelés Fahrer abgeholt und zum fürstlichen Anwesen ins knapp eine Stunde entfernte Guarujá gefahren. In dem Nobelbadeort mit den herrlichen Stränden hat auch schon Michael Schumacher residiert, wenn oben in São Paulo Rennwochenende war. Auch der in Brasilien wie Pelé verehrte Ayrton Senna hatte hier Eigentum. „Pelé hat ein riesiges Haus. Dort haben wir unsere Ruhe“, sagt Didi. Und ja, der Rei habe ein großes Herz und sei äußerst großzügig. Etwa einmal im Monat sehen sich die beiden. „Wenn er mehr als tausend Tore geschossen hat, dann muss ich ihm mehr als 1000 mal die Haare geschnitten haben“, schätzt Didi, der verdammt stolz auf seinen prominentesten Kunden ist, den er längst als Freund bezeichnet.
„Jeder kennt hier Didi. Er ist eine Institution“
„Für Didi, den besten Friseur Brasiliens“, hat Pelé auf ein Plakat geschrieben, das besonders prominent im Geschäft hängt. „Jeder kennt hier Didi. Er ist eine Institution“, kann der frisch frisierte Kunde nur bestätigen, zahlt seine 25 Reais, klopft dem Friseur auf die Schulter und verlässt den Salon: „Até logo – bis bald!“ Die heutige Generation des Santos FC, der in Brasilien den Ruf eines hervorragenden Ausbildungsvereins genießt, lässt sich nicht mehr so oft bei Didi blicken. „Neymar war beispielsweise noch nie hier. Aber das wäre mit seinem Hahnenkamm und den ständig wechselnden Looks wohl auch ein wenig zu kompliziert für mich“, erzählt Didi über den gerade erst nach Barcelona gewechselten Superstar. „Hoffentlich bleibt er bei all dem Geld auf dem Boden. Er hat doch auch schon hier so gut verdient“, sagt Didi, der kein Spiel seiner „Peixe“ auslässt. Früher live in der Vila Belmiro, heute lieber am Fernseher. „Ist einfach bequemer. Und außerdem fehlt mir heute im Team diese Magie, die man als Zuschauer noch zu Zeiten Pelés gespürt hat“, findet Didi und fegt die Haare zusammen.
Wann der nächste Termin beim „Rei“ ist, weiß er noch nicht genau. „Er ist natürlich als WM-Botschafter für Brasilien viel unterwegs. In Paris und London zum Beispiel“, weiß Senhor Didi, der sich von Pelé gerne von seinen Reisen erzählen lässt. In drei Wochen müsste eigentlich wieder das Telefon klingeln. Es kann aber genauso gut sein, dass der König plötzlich vor der Tür steht.
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