
Netzer versus Weisweiler – nicht nur beim Pokalfinale 1972 wurde die verkrustete Beziehung der beiden deutlich. Auch vor Gladbachs erster Meistersaison herrschte Funkstille zwischen Trainer und Regisseur. Netzer plagte sich mit einem Muskelriss im linken Oberschenkel herum. Der Bundesligastart gegen Schalke war für den Gladbach-Star in Gefahr.
Dabei hatte Netzer bei den vorherigen Nationalmannschaftsspielen noch auf die Zähne gebissen. Es gehe ihm nicht gut, meinte er. Und wenn es ihm im Fußball nicht gut gehe, dann fühle er sich auch sonst nicht wohl. Der arme Kerl.
Gladbach hat den Kaiser
Und das erste Spiel ohne Netzer ging auch gleich in die Hose. Beim 0:2 auf Schalke hatten die Gladbacher keine Siegchance. Doch schon am zweiten Spieltag legten sie die Bayern lahm. Beim 2:1 auf dem Bökelberg stach Wadenbeißer Vogts heraus. Im Alter von 19 Jahren wurde Werner Kaiser nach der von den Bayern dominierten ersten Halbzeit eingewechselt. Keine drei Minuten auf dem Platz, erzielte Kaiser den 1:1‑Ausgleich. Später sorgte Herbert Laumen für den Sieg.
Der Sieg gegen die Bayern blieb auch dem Ausland nicht verborgen. Eine Londoner Produktionsfirma drehte gar einen 45-minütigen Film aus Spielszenen und Trainingsaufnahmen der Gladbacher. Titel: »Modernes Training – Fußball von 1970«.
Zwischen Firma und Strafraum
Der Netzer-Zwist blieb nicht die einzige Gladbacher Baustelle außerhalb des Platzes. Peter Meyer forderte vor der Saison ein Handgeld von 25 000 Mark, da er durch eine Verletzungspause auf Prämien verzichten musste. Die Forderung sorgte für einen Eklat, bis Trainer Hennes Weisweiler zwischen dem Stürmer und dem Vorstand vermittelte.
Meyer rackerte sich in dieser Zeit nicht nur im Strafraum ab, sondern war auch in seinem Düsseldorfer Betrieb für Autokupplungen jeden Tag zur Stelle. Gegen die Bayern machte Meyer aber sein letztes Spiel für die Borussia, die Verletzung tauchte wieder auf.
Es lief nicht rund für die Borussia, am siebten Spieltag stand sie nur auf Platz sechs. In einer Umfrage sahen die meisten Hannover und Bayern als Titelkandidaten, erst danach wurde die Weisweiler-Elf genannt. Als Grund führte der Trainer das enorme Verletzungspech zu Saisonbeginn an – auch wenn er Netzer nicht explizit nannte.
Netzer führt die Elf an
Aber tatsächlich: Als Netzer wieder eingriff, führte er die Elf nach vorne. Nach einem seiner brillanten Auftritte in München bei 1860 sagte er nach dem Spiel lapidar: »In diesem Spiel hat mich nur der Regen in den letzten zehn Minuten gestört.« Die Lockerheit kehrte ein. Einen Tag vor dem Spiel gegen Aachen daheim schlenderten die Gladbacher aus dem Kino, als man ihnen mitteilte, Hertha habe die Bayern geschlagen. Luggi Müller entgegnete: »Dann sind wir ja morgen Tabellenführer.« So kam es, Gladbach schlug Aachen 5:1 und grüßte erstmals von der Spitze.
Im Spitzenspiel gegen Hertha eine Woche darauf kassierte Gladbach kurz vor Schluss noch den Ausgleich – zum dritten Mal in kürzester Zeit musste die Weisweiler-Elf ein Gegentor in der Schlussphase hinnehmen. Das verärgerte vor allem Berti Vogts, der selbst auf dem Nachhauseweg immer wieder seinem Ärger Luft machte.
Berti und der Fensterplatz
Vogts stellte in dieser Saison aber einen besonderen Rekord auf: Er stand 150 Spiele in Serie auf dem Platz. Das öffentliche Interesse am »Terrier« stieg und so kam in diesen Tage die traurige Geschichte von Vogts’ Flug nach Santiago auf. Berti wollte unbedingt den Berg Aconcagua sehen und sicherte sich im Flugzeug einen Fensterplatz auf der linken Seite. Der Berg lag jedoch rechts. Vogts soll todtraurig gewesen sein.
Feierlicher ging es auf Weisweilers 50. Geburtstag zu. Da hatte gerade Gladbachs Vorsitzender Dr. Beyer eine Laudatio auf den Jubilar gehalten und sich gewünscht, Weisweiler weiter bei der Borussia zu halten, schon stand Weisweiler auf und sprach drei Worte: »Ich sage: Ja.« So sahen Vertragsverlängerungen im Jahr 1970 aus. Lediglich ein Gast auf der Feier war nicht so begeistert: Kölns Geschäftsführer Hans-Gerd König wollte Weisweiler eigentlich zum FC lotsen. Auch einen Tag später jubelten nur die Gladbacher: 5:0 schlugen sie Hannover. Eine Woche später folgte der Sieg über die Kölner mit 1:0 – Kölns König schaute wieder missmutig zu.
Zur Herbstmeisterschaft kamen die Gladbacher dann durch einen 3:1‑Sieg über den HSV. Neben Netzer ließ Sieloff aufhorchen, der – so der »kicker« – »zwölf Pfund Gewicht verlor, aber seine alte Stärke wiederfand«.
Rommé bis zwei Uhr nachts
In das Jahr 1970 ging es mit einer Niederlage daheim gegen Frankfurt auf dickem Schnee. Doch nur eine Woche später nährte ein 4:1‑Sieg in Kaiserslautern die Hoffnungen auf die erste Mönchengladbacher Meisterschaft. Berti Vogts war nach dem Spiel so aufgekratzt, dass er mit seinem Bruder bis zwei Uhr nachts Rommé spielte. Die packende, direkte Spielweise der Mannschaft brachte nicht nur Vogts in helle Aufregung, die ganze Bundesliga schwärmte nun von der Elf vom Bökelberg.
Ulrik Le Fevre (Spitzname des Dänen: »Mr. Käse«) kristallisierte sich in dieser Phase der Saison als Mann für die entscheidenden Tore heraus. Gegen Bremen und in Duisburg markierte er den 1:0‑Siegtreffer. Das Geheimnis seines Erfolges: Im Training spielte er immer gegen Berti Vogts. Fevre: »So wie der Berti mich hingetrimmt hat, kann mir kein anderer Abwehrspieler mehr imponieren. Berti führte mir alle möglichen Abwehrtricks vor und vollstreckte sie unbarmherzig an mir.« Hört sich nicht gerade nach großem Spaß an.
Kurzes Nervenflattern
Nach der Siegesserie geriet der Borussen-Motor etwas ins Stocken, gegen Hertha und Stuttgart reichte es nur zu Unentschieden, aber das Punktepolster auf Verfolger Köln war dick genug. Wie überlegen die Mönchengladbacher aber in Wirklichkeit ihren Verfolgern waren, zeigte das Spiel gegen Köln am 11. April 1970. Der 2:0‑Endstand nach Toren von Sieloff und Laumen war noch schmeichelhaft für die Gäste aus der Domstadt.
Danach schien es, als könnte die Gladbacher Elf noch einmal die Nerven verlieren – so dicht vor dem großen Erfolg. Nach mehreren Pleiten (u.a. in Essen) schmolz der Vorsprung auf die nun zweitplatzierten Bayern. Am 30. April 1970 (einem Donnerstag) konnten dann aber doch die Sektkorken knallen: Ein 4:3 über den HSV besiegelte die erste Meisterschaft der Borussia. Mit einem Durchschnittsalter von 25 Jahren wurde Gladbach der »jüngste Bundesligameister«.
Die Bedeutung des Titels war am Jubel in der Stadt abzulesen: Ein Schornsteinkletterer hisste eine Gladbach-Fahne in 86 Metern Höhe, um 21.46 Uhr läuteten die Kirchenglocken und die Bürgersteige wurden in Borussias Farben angestrichen. DFB-Präsident Gösmann beglückwünschte die Borussia und meinte: »Das war die härteste Saison, die es jemals gab.«
ncG1vNJzZmhpYZu%2FpsHNnZxnnJVkrrPAyKScpWeXpLmlsc2eZF57Y1qOdb7AaGpybGJmfQ%3D%3D